Es ist seltsam. Dass Preussen angesichts von Nürnberger Lebkuchen feuchte Augen bekommen ist ja irgendwie verständlich. Diese steinharten Aachener Printen, mit denen man aus gutem Grund in ganz Norddeutschland die Häuser verklinkert, sind wirklich schwer geniessbar – weil beisst man rein läuft man Gefahr, eine Staubexplosion auszulösen. Weniger verständlich ist jedoch, dass auch die wilden Bergvölker im Süden der Republik auf das Zeug abfahren.
‚Kannst Du mir sechs Packungen mitbringen, zwei Schoko, zwei weiss, zwei ohne ?‘ (Mann)
‚Au ja, mir auch drei, alle Schoko, bis auf eins.‘ (Frau)
‚Sind die aus fair gehandelten Nüssen ?‘ ‚Keine Ahnung !‘ ‚Ok, dann für mich nur zwei Packungen.‘ (Frau)
‚Ham die auch kleine Packungen ?‘ ‚Hmmm ???‘ ‚Weil ich fress die immer auf einen Schlag auf !‘ ‚Gibts nich.‘ ‚Gut, dann drei.‘ (Mann)
‚…‘
Während der capt’n wie ein Buchmacher Mengen und Quoten notiert, stellt irgendwer die blöde aber nach der letzten Bestellung unvermeidliche Frage, wieviel denn da in einer Packung drin sei.
‚Das sind keine Packungen, das sind eigentlich Tüten. 750 Gramm, glaub ich.‘
Blöde Antwort, das ist ihm klar, sobald er es gesagt hat. Eine Minute später knüllt er seine sorgsam erstellten Notizen zusammen und meint:
‚Ansage: Keine Kekse, keine Dominosteine, keine Oblaten auf einem extra Teller, keine halben Packungen, comprende ? Hat mal wer nen neuen Zettel für mich ?‘
Und so besteigt der capt’n zu nachtschlafender Zeit sein Raumschiff, nachdem er den Kofferraum entrümpelt hat. Sein Einkaufszettel ist armlang. Er muss sich beeilen. Denn in ein paar Wochen wird Nürnberg zur verbotenen Zone werden, Christkindlesmarkt, und die vom Papstbesuch gerade genesenen Busse werden alle da sein und vier Wochen lang Ringelreihen in der Altstadt spielen.
Einen halben Kilometer vor dem Werksverkauf weiss er wieder, warum er die jährliche Lebkuchenrallye hasst: Der Hersteller lag bestimmt mal am Stadtrand. So vor rund 200 Jahren vielleicht. Jetzt liegt er zentral an einer der grössten Kreuzungen der Stadt, und die nächsten Parkplätze liegen kurz hinterm Horizont. Völlig klar, dass es sieben Grad, Sturm und waagrechten Regen hat.
Nach einer nur halbtägigen Wanderung steht der capt’n im Werksverkauf.
‚Sind Sie fit ?‘ fragt er die freundliche Verkäuferin zur Begrüssung.
‚???‘
‚Naja, es wird ein bisschen mehr … ‚
Eine knappe Viertelstunde später verschwinden Kasse und Verkäuferin zusehends unter einem Berg voluminöser Lebkuchentüten.
‚Ok, ich glaub das ist alles.‘
‚Sicher ?‘ murmelt es hinter dem Haufen hervor.
Der capt’n checkt nochmal sein Gebetbuch und meint:
‚Den Rest kann ich nich mehr lesen, ja, das ist dann alles.‘
Die Kasse ist vergleichsweise modern – sie hat rechts keine Kurbel mehr und es stehen auch keine kleinen Plastikziffern mehr auf, wenn man was eintippt. Trotzdem zieht es sich hin.
‚Macht 101,73 !‘ sagt der Stapel zu ihm.
Der capt’n überlegt kurz, wie eine gerade Anzahl fast gleichartiger Dinge einen derart krummen Betrag ergeben kann, überschlägt blitzartig, was er im Kopf als Summe circa rauskriegt, und kommt auf deutlich mehr. Punkt für den capt’n.
‚Ja ok, Karte ?‘
Als Stunden später die Brieftaube mit seiner EC-Quittung zurückkehrt meint er, es fast gechafft zu haben.
‚Ohoh‘ sagt der Stapel.
Mist, Punkt für die anderen. Der capt’n flucht leise, offenbar hat sie doch noch bemerkt, dass sie sich schwer verrechnet hat.
‚Was meinten Sie gerade?‘ fragt er scheinheilig, während er die Quittung hoch hält.
‚Ich glaube zwar ich hab alles abkassiert … ‚ Punkt für den capt’n.
‚ … aber wir haben keine Tüten mehr !‘
‚Wie, hab ich Sie endlich leergekauft ?‘
‚Nein, Einkaufstüten, wir haben keine Einkaufstüten mehr !‘
‚Ohoh.‘ Zehn Punkte für die anderen.
Nur drei Wanderungen später hat ein pudelnasser und verfrorener capt’n seinen Einkauf im Kofferraum, und nur eine der Tüten ist ihm unterwegs auf den Bürgersteig gefallen, sie wird der Bezeichnung ‚Lebkuchenbruch‘ eine völlig neue Bedeutung verleihen.